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UDI für Medizinprodukte: Herkulesaufgabe für Hersteller, Chance für Krankenhäuser

Montag, 20. Juni 2022

UDI für Medizinprodukte: Die Medical Device Regulation (MDR) und die damit verbundene eindeutige Produkterkennung ist für Krankenhäuser eine Chance für eine bessere Datenqualität.Unique Device Identification (UDI) ist kein neues Konzept, doch es zeigt sich, dass sich die harte Arbeit der Hersteller auszahlt und die Vorteile der eindeutigen Produktkennzeichnung über eine verbesserte Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten hinausgehen. Weniger Dokumentationsaufwand, mehr Transparenz in der Supply Chain, effizienteres Bestandsmanagement – Krankenhäuser können UDI-Informationen auch nutzen, um klinisch-integrierte Lieferketten zu etablieren. Ein Fall aus den USA zeigt, wie es funktionieren kann.

 

 


 

Man kann vieles über die Gesundheitsbranche sagen, ganz sicher aber nicht, dass es einmal langweilig wird. In mehr als 20 Jahren, die ich nun schon im Gesundheitswesen arbeite, sind gefühlt Hunderte Gesetze und Initiativen auf den Weg gebracht worden. Für die Krankenhäuser auf der einen und die Hersteller von medizinischen Produkten auf der anderen Seite bedeutet das meistens Arbeit. Doch die Arbeit zahlt sich aus, denn vor allem die Europäische Union hat vieles angestoßen, um die Branche zu transformieren und mittel- bis langfristig die Patientenversorgung zu verbessern.

Bestes Beispiel ist die Unique Device Identification (UDI). Es gibt wohl kaum ein Thema, das vor allem die Hersteller in den vergangenen Jahren so sehr beschäftigt hat wie die Initiative zur weltweit eindeutigen und maschinenlesbaren Kennzeichnung von Medizinprodukten und In-Vitro-Diagnostika. Gemäß der 2017 von der EU verabschiedeten Medical Device Regulation (MDR) müssen Hersteller, die ihre Medizinprodukte in Europa vertreiben wollen, diesen Produkten eine eindeutige Kennung zuweisen, die UDI. Die Idee dahinter ist mehr als lobenswert: Durch die Kennzeichnung soll zum Wohle der Patienten eine einfache Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten ermöglicht und Fälschungen verhindert werden.

 


 

Was in der Theorie ganz einfach klingt, ist in der Praxis durchaus kompliziert. Denn im Gegensatz zu den USA, wo die UDI-Kennzeichnung schon 2013 auf den Weg gebracht worden ist, werden in Europa zwei Kennzeichnungen benötigt: Basis UDI-DI und UDI-DI. Während die Basis UDI-DI ein Produktmodell oder eine gesamte Produktfamilie kennzeichnet, besitzt jedes einzelne Produkt aus dieser Produktfamilie eine eigene eindeutige Nummer, die UDI-DI. Diese eindeutige Nummer muss nicht nur in der Eudamed-Datenbank gespeichert werden, sondern auch auf den Produkten und/oder ihrer Verpackung zu finden sein.

Natürlich können die Hersteller die eindeutige Produktidentifikation nicht alleine vornehmen, sie wird von vier Zuteilungsstellen übernommen: GS1, HIBCC, ICCBBA sowie von der Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA). Dabei sind die in Europa verbreitete GS1-Codierung und der Health Industry Barcode HIBC als UDI-Kennzeichnung für Medizinprodukte anerkannt. Der ICCBBA (International Council for Commonality in Blood Banking Automation) UDI-Code dient zur Identifikation von Produkten menschlichen Ursprungs (Blutplasma oder Transplantaten), der IFA UDI-Code kennzeichnet Arzneispezialitäten.

 

 Übersicht über die UDI-Kennzeichnung von Medizinprodukten

 Was bedeutet Unique Device Identification?

Die Unique Device Identification (UDI) ist ein eindeutiger numerischer oder alphanumerischer Code für ein Medizinprodukt. Diese einmalige Produktkennung ermöglicht eine klare und eindeutige Identifizierung spezifischer, auf dem Markt befindlicher Produkte und erleichtert deren Rückverfolgbarkeit.

 Welche Komponenten umfasst die Unique Device Identification?

  • Basis UDI-DI für die Kennzeichnung von Produktfamilien (Schlüssel zur Eudamed-Datenbank mit einem einmaligen numerischen oder alphanumerischen Code, der die Produktfamilie über statische Daten identifiziert)
  • UDI-DI (Device Identifier) für die Kennzeichnung von einzelnen Produkten (einmaliger numerischer oder alphanumerischer Code, der spezifisch für ein Modell/eine Variante/Version ist). Der Device Identifier ist der statische Teil der UDI-Nummer.
  • UDI-PI (Production Identifier) für die Kennzeichnung einer Produktionseinheit (numerischer oder alphanumerischer Code, der Informationen wie Seriennummer, Losnummer, Software-Identifikation und Herstellungs- oder Verfallsdatum oder beide Datentypen enthält). Der Production Identifier ist der dynamische Teil der UDI-Nummer.

 Basis UDI-DI

  • kennzeichnet komplette Produktfamilien
  • erscheint in Eudamed
  • fasst mehrere UDI-DI zusammen
  • muss in allen relevanten Dokumenten erscheinen
  • erscheint nicht auf Produkten und/oder Verpackungen

 UDI-DI (Device Identifier)

  • kennzeichnet ein einzelnes Produkt
  • erscheint in Eudamed
  • muss auf Produkten und/oder Verpackungen angegeben werden

 UDI-PI (Production Identifier)

  • kennzeichnet eine Produktionseinheit
  • erscheint nicht in Eudamed
  • muss auf Produkten und/oder Verpackungen angegeben werden

 Ab wann müssen welche Medizinprodukte mit einer UDI gekennzeichnet sein?

 Die Kennzeichnungspflicht ist abhängig von der Produktklasse:

  • Klasse III und Implantate: ab Mai 2021
  • In-Vitro-Diagnostika: ab Mai 2022
  • Klasse IIa und IIb: ab Mai 2023
  • Klasse I: ab Mai 2025

 Zuteilungsstellen für UDI-Kennzeichnungen

 Benannte Stellen für Zertifizierungen

 


 

Die Verantwortlichen bei den Herstellern werden mir zustimmen, wenn ich sage, dass die UDI-Einführung in Europa unglaublich viel Zeit und Ressourcen kostet. Denn im Zuge der Medical Device Regulation mussten bzw. müssen alle Produkte nicht nur mit den UDI-Nummern ausgewiesen, sondern auch neu registriert werden. Dafür gibt es benannte Stellen, die Produkte nach erfolgreicher Prüfung mit MDR-Zertifizierungen ausweisen.

Aufwändige IT-Projekte für UDI-Kennzeichnungen, zeitintensive Neuzertifizierungen aller Produkte – man kann hier ohne schlechtes Gewissen von einer Herkulesaufgabe für die Hersteller sprechen, die mit der Verordnung einhergeht.

Als wäre das nicht schon alles komplex genug, brach mitten in der Umstellungsphase auch noch die Corona-Pandemie aus. Die Gesetzeshüter hatten ein Einsehen und einigten sich auf eine Übergangszeit, die allerdings vor knapp einem Jahr endete. Für Medizinprodukte der Klasse III und Implantate gelten die Vorgaben zur UDI-Kennzeichnung seit Mai 2021, für In-Vitro-Diagnostika seit Mai 2022. Doch damit ist es noch nicht getan; mit Blick auf die Kennzeichnung von Produkten der Klasse IIa und IIb (ab Mai 2023) sowie der Klasse I (ab Mai 2025) kommt auf die Hersteller auch in Zukunft noch viel Arbeit zu.

 


 

Wie ich bereits oben erwähnte, zahlt sich die Arbeit meistens aber auch aus. Im Falle der UDI-Kennzeichnungen versprach sich die EU zunächst einmal eine bessere Rückverfolgbarkeit von Medizinprodukten auf dem europäischen Markt. Die Idee: Bei Problemen mit Produkten oder sogar einzelnen Chargen können diese künftig ganz einfach aus dem Verkehr gezogen werden. Davon profitiert der Patient, dessen Versorgung ohnehin immer im Zentrum aller Bemühungen stehen sollte.

Eine aktuelle Analyse aus den Vereinigten Staaten zeigt allerdings, dass Gesundheitsorganisationen die UDI-Kennzeichnungen auch nutzen können, um Prozesse zu optimieren und Kosten einzusparen. Duke Health, ein renommierter Gesundheitsdienstleister aus North Carolina, hat in drei seiner Krankenhäuser ein UDI-basiertes Projekt zum Management von Produkten und Lieferinformationen ins Leben gerufen. Der Ansatz, UDI-Informationen in verschiedenen IT-Systemen zu nutzen, wurde zunächst nur für die in den Laboren für Herzkatheter und Elektrophysiologie eingesetzten Produkte getestet, die Ergebnisse sind aber bemerkenswert:

  • Schnellere Reaktion auf Rückrufe
  • Geringerer Dokumentationsaufwand
  • Weniger Dokumentationsfehler
  • Reduktion abgelehnter Rechnungen
  • Effektiveres Management des Lagerbestands

Das praktische Vorgehen war dabei am Ende simpel: Durch den Einsatz von Scannern zur Erfassung der UDI-Informationen am Behandlungsort konnte die Verwendung der Produkte einfach nachverfolgt werden, etwa für Verfahrensprotokolle und -berichte, für Patientenakten sowie für die Abrechnung von Gebühren oder das Bestandsmanagement. Kaum verwunderlich, dass sich nicht nur der Dokumentationsaufwand für die Ärzte reduzierte, sondern auch schneller auf Rückrufe reagiert werden konnte.

 


 

Bis die drei Krankenhäuser von Duke Health die Regelungen zur eindeutigen Produkterkennung gewinnbringend einsetzen konnten, war es allerdings ein weiter Weg. Die UDI-Informationen mussten vorab in mehrere klinische und operative IT-Systeme sowie in das Finanzbuchhaltungssystem integriert werden. Das bedeutet nicht nur Arbeit für die IT-Abteilung, sondern vorab eine offene Kommunikation zwischen den Interessengruppen, um herauszufinden, wer welche Information für welchen Zweck benötigt.

Der Vorteil entsprechender Projekte ist, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten im Zusammenhang mit der jeweiligen Nutzung der UDI-Informationen ans Licht kommen. Im Falle von Duke Health, das in seinen Krankenhäusern auf ein robustes Warenwirtschaftssystem mit hochwertigen Stammdaten zugrückgreifen kann, erfolgte nach der Analyse der Datenflüsse und Schnittstellen eine Harmonisierung der Prozesse, die zur einheitlichen Erfassung und Nutzung der UDI-Informationen in den wichtigsten IT-Systemen erforderlich waren. Das Ergebnis: eine klinisch-integrierte Lieferkette, die mehr Transparenz schafft und gleichzeitig die Kosten senkt.

 


 

Die Medical Device Regulation nimmt mit Blick auf die UDI-Informationen nur die Hersteller von medizinischen Produkten in die Pflicht; für die Krankenhäuser bietet die Verordnung dagegen eine große Chance, die Prozesse in ihrer Organisation zu verschlanken. Das Beispiel aus den USA zeigt dabei deutlich, dass eine Optimierung der Supply-Chain-Prozesse über UDI-Informationen gleich mehreren Abteilungen zugutekommt, etwa dem Einkauf, dem Wareneingang, der Finanzbuchhaltung und nicht zuletzt den klinischen Fachkräften.

Ein nahtloser Datenfluss und die übergreifende Nutzung von UDI-Informationen schärft die Prozesse und spart allen Beteiligten enorm viel Zeit. Das medizinische Personal, dessen Dokumentationsaufwand dank der eindeutigen Produktkennzeichnung und der einfachen Integration in die IT-Systeme erheblich reduziert wird, kann wieder durchatmen und sich mit Blick auf die fast schon chronische Überbelastung im Gesundheitswesen seiner Kernaufgabe widmen: der Versorgung der Patienten.

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Dr. Christoph Luz

Geschäftsführer

Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.