Resilienz ist ein Schlagwort, das mittlerweile auch im Krankenhaus angekommen ist. Mit Blick auf unvorhergesehene Krisen und damit verbundene Lieferengpässe stehen Gesundheitsorganisationen mehr denn je vor der Aufgabe, widerstandsfähigere Beschaffungsprozesse zu etablieren. Fünf Faktoren sind dabei entscheidend – und Business-Netzwerke eine Grundvoraussetzung.
Mit dem Ende der Corona-Pandemie hatten viele Krankenhäuser gehofft, wieder in den Normalbetrieb schalten zu können. Die Realität sieht leider anders aus, denn neben dem Fachkräftemangel und dem steigenden Kostendruck treten im Zuge unerwarteter Krisen immer wieder Lieferengpässe auf. Ob Ukraine-Krieg, Energie-Krise oder Inflation – die jüngsten Entwicklungen haben das Gesundheitswesen erneut auf die Probe gestellt und offenbart, wie brüchig die globalen Lieferketten sind.
Im Zuge gestiegener Unsicherheit und der großen Abhängigkeit von vorgelagerten Lieferketten ist in den letzten Jahren ein Schlagwort in den Fokus gerückt, das seinen Ursprung in der Soziologie hat: Resilienz. Genau wie ein Mensch sein Verhalten ändern kann, um Herausforderungen zu meistern, gilt das auch für Unternehmen und Organisationen. Sie müssen Risiken und daraus resultierende Chancen frühzeitig erkennen und sich negativen Einflüssen anpassen, ohne einen dauerhaften Schaden davonzutragen.
Krankenhäuser sind davon nicht ausgenommen – im Gegenteil. Um die Patientenversorgung auch in unsicheren Zeiten zu gewährleisten, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Folgen von Krisen abfedern. Erforderlich ist dabei ein ganzheitliches Risikomanagement, durch das resiliente Strukturen und Prozesse aufgebaut werden können.
Bleibt die Frage: Welche Strategien sollten Einkäufer und Entscheider im Krankenhaus verfolgen, um ihre Beschaffungsprozesse nicht nur effizienter, sondern auch widerstandsfähiger zu gestalten?
Die Antwort ist alles andere als trivial, schließlich ist das Lieferketten-Management eine komplexe Angelegenheit. Erst recht im Gesundheitswesen, einer von regulatorischen Anforderungen geprägten Branche, in der Lieferengpässe schnell gravierende Folgen für die Patientenversorgung haben können. Mein Rat: Um die sich stetig ändernden Marktbedingungen überhaupt meistern zu können, sollten Krankenhäuser mindestens fünf Faktoren im Hinterkopf haben, die ihnen dabei helfen, resiliente Strukturen und Prozesse zu etablieren.
Faktoren für den Aufbau widerstandsfähiger Prozesse in der Beschaffung |
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Eine der größten Herausforderungen im Supply Chain Management ist eine schnelle und angemessene Reaktionsfähigkeit auf veränderte Rahmenbedingungen. Während Verantwortliche lange Zeit nur Rabattverträge mit möglichst niedrigen Preisen ausgehandelt haben, dafür im Gegenzug aber große Anteile bestimmter Produktklassen abnehmen mussten, findet nun ein Umdenken statt. Weg von starren Verträgen mit Strafklauseln bei Anbieterwechseln, hin zu flexiblen Verträgen und Lieferanten mit Frühwarnsystemen, die Einkäufer bei möglichen Engpässen über digitale Tools präventiv informieren.
Die Handlungsfähigkeit von Krankenhäusern in Krisenzeiten kann von der Anzahl der Lieferanten bestimmt sein. Grundsätzlich gilt: Je größer das Netzwerk, desto besser ist auch die Reaktion auf Nachfrageänderungen. Noch widerstandsfähiger wird die Lieferkette, wenn die Hersteller in verschiedenen Märkten produzieren und eine bessere Datenbasis zur Optimierung von Just-in-Time-Lagerhaltungspraktiken nutzen.
Werden Strukturen, Tools und aus Daten abgeleitete Informationen mehrfach von verschiedenen Abteilungen oder mehreren Krankenhäusern einer Gruppe genutzt, führt diese Redundanz zu einheitlichen Prozessen. Die Corona-Krise hat leidvoll gezeigt, dass viele deutsche Kliniken nur einen begrenzten Einblick in ihre Bestands- und Verbrauchsdaten haben – von Echtzeit-Daten ganz zu schweigen. Das muss sich ändern: Im Rahmen von Vertragsverhandlungen sind Daten zur Bedarfsermittlung künftig wertvoller als günstige Produktpreise und Abnahmeverpflichtungen.
Die Erfahrungen aus vorangegangenen Krisen sind lehrreich und sollten sich logischerweise auch in den Beschaffungsprozessen widerspiegeln. Grundvoraussetzung dafür sind Daten, die Krankenhäuser durch digitale Lösungen gewinnen können. Bestes Beispiel: Die Erkenntnisse, die Krankenhäuser über den sicheren und nachhaltigen Einsatz von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und anderen kritischen Ressourcen gewonnen haben, werden nun zur Erstellung von Protokollen und Kontrollmechanismen verwendet. Die Informationen, wann PSA-Artikel gebraucht, wiederaufbereitet oder dekontaminiert werden, gewährleisten im stationären Regelbetrieb eine optimale Ressourcennutzung und helfen dabei, Kontingenzpläne für Reserven in Krisenzeiten vorzubereiten.
Ein gutes Krisenmanagement ist auch eine Frage der Vorausplanung. Entscheidungsträger aus dem klinischen, kaufmännischen und operativen Bereich im Krankenhaus sollten bei dieser Planung genauso eine Rolle spielen wie externe Interessenvertreter aus Gesundheitsbehörden, Landes- und Bundesregierung oder kritischen Versorgungsunternehmen. Interdisziplinäre Teams mit verschiedenen Kompetenzen und Blickwinkel können bei der Ausarbeitung von Planübungen helfen. Das Ergebnis: ein effizientes Krisenmanagement mit schnellen Entscheidungsfindungen, klaren Rollen und Verantwortlichkeiten sowie der schnellen Umsetzung festgelegter Notfallpläne.
Diese fünf Faktoren machen deutlich, dass Krankenhäuser die Herausforderungen von unvorhergesehenen Marktbewegungen kaum allein meistern können. Der Aufbau von starken und dauerhaften Beziehungen zwischen Gesundheitsorganisationen und Herstellern sowie Lieferanten von medizinischen Produkten ist für alle Parteien im Gesundheitswesen essenziell, wenn nicht sogar überlebenswichtig, um auch kommende Krisen zu meistern.
Es ist kaum überraschend, dass hierfür auch neue Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen. Im Zuge der digitalen Transformation müssen die Akteure im Gesundheitsökosystem ihre manuellen Abläufe durch automatisierte Prozesse ablösen. Egal ob Krankenhaus oder die Industrie – beide Seiten brauchen digitale Tools oder im Idealfall eine zentrale, digitale Plattform, um widerstandsfähigere Lieferketten zu etablieren. Nur so können Daten, die künftig die Grundlage für Entscheidungen darstellen, gesammelt und genutzt werden, um die Prozesse zu schärfen und damit auch langfristig die Versorgung sicherzustellen.
Der Schlüssel zum Erfolg ist der Anschluss an ein Business-Netzwerk, das Krankenhäusern nicht nur hilft, ihre Sourcing-Strategien zu verfeinern, sondern auch ein optimales Lieferanten-Management gewährleistet. Der Vorteil: Sofern die wichtigsten Geschäftspartner an das Netzwerk angeschlossen sind, erhalten Sie aktuelle Artikel- und Preisinformationen sowie deren Verfügbarkeit und Lieferzeiten über einen zentralen Zugang.
Während heute noch viel Zeit für manuelle Tätigkeiten investiert werden muss, erfolgt das Versenden und Empfangen von Bestellungen, Bestellbestätigungen, Lieferscheinen und Rechnungen in diesem Fall automatisch. Wird der Status aller Transaktionen dokumentiert und archiviert, gewinnen Krankenhäuser wichtige Erkenntnisse, die nützlich sind, um zu entscheiden, wer ihre bevorzugten Lieferanten sind – auch und vor allem in Krisenzeiten.
Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.