Zu viel Abfall, zu wenig Hybridprodukte, zu hoher Energie- und Ressourcenverbrauch – das globale Gesundheitswesen hat ein Nachhaltigkeitsproblem. Es gibt allerdings gute Nachrichten: Krankenhäuser sind aufgewacht und haben Nachhaltigkeit zum Schlüsselthema auserkoren. Aber wer ist jetzt in der Verantwortung? Und wie können Medizinprodukte nicht nur nachhaltig beschafft, sondern auch verwaltet werden, um nachhaltige Lieferketten zu etablieren?
Wenn Sie an den Ausstoß von CO2-Emmissionen denken, kommt Ihnen wahrscheinlich das Flugzeug in den Sinn. Flugreisen gelten völlig zurecht allgemein als Bedrohung für unser Klima, doch es gibt andere Sektoren, die noch mehr Treibhausgase produzieren – das Gesundheitswesen zum Beispiel. Mit 4,4% liegt der Gesundheitssektor laut einer Studie bei den Emissionen vor dem Flugverkehr und der Schifffahrt. Wie kann das sein?
Die Antwort ist vielschichtiger als bei Flugreisen, denn während die Flugzeug-Flotten dieser Welt vor allem durch die Verbrennung von Kerosin einen bedenklichen ökologischen Fußabtritt hinterlassen, stehen Krankenhäuser vor viel mehr Herausforderungen. Der 24-Stunden-Betrieb sowie die hohen technischen Anforderungen an medizinische Geräte führen zu einem immensen Energieverbrauch, der laut dem Fraunhofer Institut pro Krankenhaus genauso groß ist wie der einer Kleinstadt. Nicht minder bedenklich ist der Ressourcenverbrauch und der daraus entstehende Müll. Auch weil wieder verwendbare Produkte im Gesundheitswesen kaum im Einsatz sind, produzieren Kliniken hierzulande jährlich 4,5 Millionen (!) Tonnen Abfall, die natürlich auch entsorgt werden müssen.
Während Flugreisen vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie wenig bis gar nicht stattgefunden haben, ist der Ressourcenverbrauch in Krankenhäusern in den vergangenen eineinhalb Jahren übrigens noch einmal massiv gestiegen. Das einzig Gute daran: Der inflationäre Einsatz von Einwegplastik und die Entsorgung von PSA-Produkten nach einmaligem Gebrauch hat auch die Debatte über die Nachhaltigkeit von globalen Lieferketten im Gesundheitswesen angestoßen.
Laut der Roland Berger Krankenhausstudie 2021 gaben 90% der deutschen Klinikverantwortlichen an, dass das Thema Nachhaltigkeit für ihr Haus "relevant" oder "sehr relevant" sei. Krankenhäuser sehen sich mehr denn je in der Verantwortung, ihre Ressourcen besser zu managen – von der Beschaffung über die Lagerung bis zur Abfallentsorgung.
Und damit kommt der strategische Einkäufer ins Spiel. Er muss in seiner Rolle schon lange nicht mehr nur Produkte einkaufen, sondern auch neue Chancen aufzeigen. Der klassische Einkauf, der lange Zeit nur Bestellungen und Preisverhandlungen beinhaltete, vollzieht damit eine Transformation, die wir in anderen Industrien schon lange erleben. Entscheider im Krankenhaus müssen sich die Frage stellen, welche Werte der Einkäufer für die Kliniken künftig schaffen kann.
Und da kann es meiner Meinung nach nur einen Weg geben: weg von analogen Prozessen, die Zeit und Ressourcen kosten, hin zu digitalen Lösungen, die auf Basis von Daten ein entscheidender Faktor in der Wertschöpfungskette spielen werden.
Sie merken schon, für mich ist der strategische Einkäufer im Krankenhaus aktuell die Person, die die CO2-Entwicklung in den Händen hält. Er bildet nämlich die Schnittstelle zwischen der Klinik und den externen Partnern, und ist damit die Person, die nachhaltige Prozesse etablieren kann.
Der Schlüssel zum Erfolg sind Daten. Nicht nur die Krankenhausdaten, sondern auch die Daten der Hersteller und Lieferanten, die optimalerweise auf einer digitalen Plattform zusammengeführt werden. Der Einkäufer kann die Bedarfsanforderung so anpassen, dass Artikel, Produkte und Medikamente zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar sind – ein Wunschszenario, von dem wir vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie leider weit entfernt waren.
Mehr Transparenz in der Supply Chain gibt Einkäufern die Möglichkeit, auf Trends in der Nutzung von Medizinprodukten zu reagieren. Krankenhäuser sind damit nicht nur auf Nachfragesteigerungen vorbereitet , sie reduzieren gleichzeitig auch den Abfall, weil sie durch Echtzeit-Daten und automatisierte Lösungen jederzeit den Bestand im Krankenhaus einsehen und die Bestellungen anpassen können.
Das Thema Nachhaltigkeit spielt aber nicht nur bei der Abfallvermeidung eine Rolle, es fängt schon bei der Wahl der Hersteller und Lieferanten an. Mit dem neuen Sorgfaltspflichten- oder auch Lieferkettengesetz werden Auftraggeber künftig zu mehr sozialer Verantwortung für ihre Lieferanten über die gesamte Lieferkette hinweg verpflichtet. Einkäufer müssen ermitteln, ob soziale und ökologische Mindeststandards verletzt werden und angemessene Maßnahmen treffen, um solche Verletzungen zu verhindern. Damit tragen Einkäufer die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung der Krankenhäuser, sowohl aus wirtschaftlicher aber auch aus ökologischer und sozialer Sicht.
Zum Schluss noch eine Zahl, die den Kreis schließt: Laut Auswertung des National Health Service (NHS) machen die indirekten Emissionen, die nicht selbst direkt beschafft werden wie zum Beispiel Strom oder Gas, mehr als zwei Drittel der Emissionen im Gesundheitswesen aus. Der Einkäufer trägt damit nicht nur eine große Verantwortung mit Blick auf Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards, er kann auf der anderen Seite auch die CO2-Bilanz und das Bild seiner Einrichtung in der öffentlichen Wahrnehmung maßgeblich beeinflussen.
Natürlich wird der Einkäufer sein Krankenhaus nicht im Alleingang zum Green Hospital transformieren – seine Arbeit ist auf dem Weg dahin aber wichtiger denn je.
Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.