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Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen: Warum Krankenhäuser ihre Scope-3-Emissionen reduzieren müssen

Montag, 30. Oktober 2023

Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen: Warum Krankenhäuser ihre Scope-3-Emissionen reduzieren müssen

Die Corporate Sustainability Reporting Directive zwingt Krankenhäuser dazu, ihre Organisation nachhaltiger aufzustellen. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen ist allerdings alles andere als einfach. Welche Herausforderungen müssen Kliniken meistern? Warum sollte der Fokus auf der Reduktion von Scope-3-Emissionen liegen? Und welche Rolle spielt dabei die digitale Transformation?

 

 


 

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass das Gesundheitswesen eine der Branche mit dem größten ökologischen Fußabdruck ist. Krankenhäuser sind nicht nur gigantische Müllproduzenten, sie verschlingen auch exorbitant viel Energie. Um sich ein Bild von dem Ausmaß zu machen, hier einfach mal ein paar Zahlen: 6.000 kWh Strom, 29.000 kWh Wärme, 2.000 Kilo Abfall – das sind laut einer Studie der Viamedica Stiftung die Eckdaten für den Verbrauch und die Abfallberge, die jährlich durch ein Krankenhausbett in Deutschland entstehen.

Haben Sie außerdem gewusst, dass…

  • das deutsche Gesundheitswesen für 5,2% des bundesweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist (Quelle: Health Care Without Harm)?
  • durch die Behandlung eines Patienten in einem deutschen Krankenhaus täglich 5-6 Kilogramm Abfall entstehen (Quelle: Abfallmanager Medizin)?
  • zwar 60 Prozent des anfallenden Abfalls hausmüllartig sind, die Abfälle aber nicht dem Recyclingkreislauf zugeführt, sondern mit anderen Sonderabfällen ungetrennt verbrannt werden (Quelle: Abfallmanager Medizin)?

 


 

Ein Grund für diese auf den ersten Blick erschreckenden Zahlen ist die Tatsache, dass im Gesundheitswesen überwiegend auf Einwegprodukte gesetzt wird. Ob Medikamentenbecher, Handschuhe, Spritzen oder Infusionsflaschen – aufgrund der strengen Hygiene- und Infektionsschutzsauflagen kommen Kliniken an Geräten, Verpackungen oder Hilfsmitteln aus Kunststoff oftmals nicht vorbei.

Erschwerend kommt hinzu, dass diese Materialien hygienisch entsorgt werden müssen, nicht selten in Sonderverbrennungsanlagen. Das kostet wieder Energie, die im Gesundheitswesen ohnehin massig gebraucht wird. Kühlung, Lüftung, Beleuchtung, Heizung – der Regelbetrieb im Krankenhaus führt zwangsläufig zu einem hohen Energieverbrauch, der mit Blick auf die Komplexität von medizinischen Geräten in Zukunft noch steigen wird.

 


 

Führen wir uns die Ursachen für den Energieverbrauch und die Abfallbelastung vor Augen, so lassen sich hieraus Chancen ableiten, die Krankenhäuser ergreifen können, um ihren Fußabdruck grüner zu gestalten. Dazu gehören unter anderem das Gebäudemanagement mit dem Einsatz von erneuerbaren Energien (Photovoltaik, Windenergie oder Geothermie), das Abfallmanagement, die Reduktion des Wasser- und Papierverbrauchs sowie die Einführung einer nachhaltigen Lebensmittelversorgung – Bereiche, die im unmittelbaren Zuständigkeitsbereich eines Krankenhauses liegen.

Weitaus komplexer, aber ungemein wichtig sind die logistischen Prozesse. Einer aktuellen Deloitte-Studie zufolge sind "mit mehr als 70 Prozent der Großteil des CO2-Ausstoßes auf die Wertschöpfungskette außerhalb der Krankenhäuser (Scope-3-Emissionen) und damit vor allem auf den zuliefernden Bereich zurückzuführen". Ein gutes Beispiel ist das Universitätsklinikum Heidelberg, in dem knapp 40 Prozent aller Emissionen auf die Herstellung, den Transport und die Entsorgung von Medizinprodukte und Medikamente entfallen.

 


 

Damit geraten die vor- und nachgelagerten Lieferketten von Krankenhäusern in den Fokus. Das Problem dabei: Die Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen birgt zwar das größte Potenzial für eine Reduktion des CO2-Ausstoßes, allerdings sind hiermit auch die größten Anstrengungen verbunden. Kliniken arbeiten oftmals mit Dutzenden Lieferanten, die wiederum mit Zulieferern kooperieren, die am anderen Ende der Welt produzieren. Das Lieferanten-Management wird so zu einer Herkulesaufgabe, die nur gelöst werden kann, wenn datengestützte Reportings und Dashboards entwickelt werden, die ein Lieferanten-Scoring erst möglich machen.

 

Verteilung der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen nach Emissionenkategorien: Wenn Krankenhäuser nachhaltig arbeiten und wirtschaften wollen, müssen sie ihre Scope-3-Emissionen reduzieren.

 

Ebenfalls essenziell ist die Etablierung von Beschaffungsprozessen, die im Sinne des Value-Based-Procurement-Ansatzes Rückschlüsse auf den wirklichen Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung zulassen. Im Zuge dessen können Warengruppenstrategien erweitert werden, etwa um Kriterien wie Müllvermeidung, das Recycling von Verbrauchsmaterialien oder die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten. Wenn es Krankenhäuser schaffen, ökologische Potenziale ausfindig zu machen, indem sie Nachhaltigkeitskriterien wie Recyclingquoten, Verbrauchsanalysen oder Lieferanten mit Umwelt- und Arbeitsschutzsystemen für den Einkauf abbilden, können sie ihre Scope-3-Emissionen nachhaltig reduzieren.

 


 

Die gewünschte Transparenz über derartige Nachhaltigkeitskriterien wird nur dann erreicht, wenn Krankenhäuser die entsprechenden Informationen dokumentieren, archivieren und so aufbereiten, dass sie aus den Erkenntnissen die richtigen Schlüsse ziehen können. Damit werden die Gewinnung und Nutzung von Daten zu einer Grundvoraussetzung für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, von der beide Seiten der Lieferkette profitieren.

Lieferanten, die ihre Umweltbilanz dokumentieren und transparent machen, können sich von der Konkurrenz abheben. Im Bereich der Medizintechnik sind Nachhaltigkeitsaspekte vereinzelt schon jetzt Teil der Ausschreibungskriterien. Weil Informationen über Zulieferer, Produktionsanlagen, nachhaltige Materialien oder die Wiederverwendbarkeit von Produkten für Gesundheitsorganisationen zunehmend wichtiger werden, müssen Lieferanten die dafür nötigen Daten früher oder später auch bereitstellen – nicht nur, weil es ihre Kunden so wollen, sondern auch der Gesetzgeber, wie Sie gleich erfahren werden.

 


 

Obwohl die Chancen für eine Reduktion des ökologischen Fußabdrucks zweifelsfrei vorhanden sind, zögern viele Krankenhäuser hierzulande immer noch, nachhaltige Prozesse und eine entsprechende Dokumentierung einzuführen. Laut einer Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) ist das Thema Nachhaltigkeit in nur jedem dritten Krankenhaus mit mehr als 600 Betten in der Unternehmensstrategie verankert. Immerhin knapp ein Viertel aller Gesundheitsorganisationen legt messbare Nachhaltigkeitsziele fest, die regelmäßig überprüft werden.

Dass die Mehrheit deutscher Krankenhäuser besonders bei der Reduzierung von Scope-3-Emissionen keine großen Sprünge gemacht hat, hat mehrere Gründe. Einerseits sind derartige Initiativen mit anfangs nicht unerheblichen Kosten verbunden, andererseits fehlt den meisten Krankenhäusern beim Thema Nachhaltigkeit schlichtweg die Expertise. Eine nachhaltige Beschaffung auf die Beine zu stellen, ist alles andere trivial und erfordert oft einen Change-Management-Prozess innerhalb der gesamten Organisation, der nicht von heute auf morgen vollzogen werden kann, sondern langfristig geplant werden muss.

Zeitlicher Druck kommt allerdings vom Gesetzgeber, der die Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen vorantreiben will. Die Europäische Union hat mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) eine Richtlinie für die Berichterstattung von Nachhaltigkeitsaspekten auf den Weg gebracht, die ab dem Jahr 2025 auch Krankenhäuser mit mehr als 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz betrifft. Demnach muss ein Nachhaltigkeitsbericht nicht nur im Lagebericht des Geschäftsberichts veröffentlicht werden, sondern sich auch einer externen Prüfung unterziehen. Weil Management und Aufsichtsrat bei Nichterfüllung direkt haften, wird die CSRD somit zwangsläufig ein Treiber für das Thema Nachhaltigkeit sein.

 


 

Letztlich kommen Krankenhäuser nicht daran vorbei, Nachhaltigkeit zur Chefsache zu machen. Das erfordert eine ganzheitliche Strategie, die mit einer Transformation der Prozesse und der Denkweise verbunden sein wird. Dabei gilt es, die große Anzahl an unterschiedlichen Informationen, Kategorien und Datenpunkten zu gewinnen, zusammenzuführen, automatisiert zu analysieren und die Effekte aus den abgeleiteten Handlungen zu bewerten – ein Kreislauf, der langfristig zu effizienteren und vor allem auch zu nachhaltigeren Prozessen und Strukturen führen wird.

Die Königsdisziplin nimmt dabei die kontinuierliche Analyse und Optimierung der Lieferkette ein. Um die Scope-3-Emissionen zu reduzieren und nachhaltig zu wirtschaften, ist ein hoher digitaler Reifegrad unerlässlich. Krankenhäuser, die für ihre Beschaffung und Bestandverwaltung auf manuelle Prozesse setzen, können niemals die Daten gewinnen, die nötig sind, um Nachhaltigkeitskriterien zu ermitteln und messbar zu machen. Auch wenn es viele Krankenhäuser noch nicht wahrhaben wollen: Wer nachhaltig arbeiten/wirtschaften und den gesetzlichen Vorschriften nachkommen will, kommt an der digitalen Transformation nicht mehr vorbei.

 

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Dr. Christoph Luz

Geschäftsführer

Dr. rer. med. Christoph Luz, Geschäftsführer der GHX Europe GmbH, ist ein ausgewiesener Experte für Supply-Chain-Lösungen im Gesundheitswesen. Mit seinem umfangreichen Fachwissen, das er aus seiner mehr als 30-jährigen Vergangenheit im IT-Bereich sowie im strategischen Management zieht, gilt er in Deutschland, der Schweiz und Österreich als eine der Schlüsselfiguren der Branche.