Mit der sanften Einführung der E-Rechnung gewährt der deutsche Gesetzgeber den Akteuren noch ein bisschen Zeit, bis sie ihre Rechnungen elektronisch übermitteln und empfangen müssen. Ganz zur Freude von Krankenhäusern und Lieferanten im Gesundheitswesen, für die der Versand und Empfang von Rechnungen besonders komplex ist. Die Umstellung auf die E-Rechnung wird damit zwar eine Herkulesaufgabe, sollte aufgrund der besonderen Anforderungen an Sonderfälle wie „Bill Only“ und „Bill and Replenish“ aber gerade deshalb als Chance verstanden werden.
Was war zuerst da, Henne oder Ei? Mit dieser allseits bekannten Frage lässt sich so manche Herausforderung beschreiben, sei es im privaten Alltag oder im beruflichen Kontext. In der Wirtschaft wird mit dem Henne-Ei-Problem das Phänomen beschrieben, dass auf einem Markt für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen weder Angebot noch Nachfrage bestehen und beides quasi gleichzeitig geschaffen werden muss, um das Problem zu lösen. Ohne große Nachfrage kein Angebot; ohne Angebot aber auch keine Nachfrage – so weit die Theorie, die sich leider auch in der Praxis bewährt.
Bestes Beispiel ist die elektronische Rechnung. Obwohl die Vorteile der E-Rechnung allseits bekannt sind, scheuen sich auch die Akteure im Gesundheitswesen vor ihrer Einführung. Krankenhäuser als Rechnungsempfänger argumentieren, dass sich eine Umstellung nicht lohne, da zu wenig Lieferanten elektronische Rechnungen bereitstellen. Die Lieferanten als Rechnungssteller sehen wiederum keinen Grund, E-Rechnungen zu versenden, ganz einfach, weil die Nachfrage nicht da ist und die sich mit der Umstellung verbundenen Investitionen nicht amortisieren.
Um die leidige Frage zu beantworten, wer den Anfang macht, hat sich in Europa der Gesetzgeber eingeschaltet und mit der Richtlinie 2014/55/EU den Grundstein für die Einführung der elektronischen Rechnung gelegt. Erst für die öffentliche Verwaltung (B2G), nun auch für den privaten Bereich (B2B). Während andere Länder rund um den Globus und auch innerhalb der EU schon weiter sind, hat Deutschland vergleichsweise spät nachgezogen. Darüber hinaus werden den Akteuren mit dem Wachstumschancengesetz, das die E-Rechnung in der Bundesrepublik verpflichtend macht, Fristen eingeräumt, die sowohl Rechnungsempfängern als auch -stellern ein bisschen Zeit verschafft.
Der offizielle Startschuss für den verpflichtenden Empfang elektronischer Rechnungen ist zwar am 1. Januar 2025 gefallen; allerdings können sich die Parteien für die Jahre 2025 und 2026 darauf verständigen, Rechnungen weiterhin in Papierform auszutauschen, wenn der Rechnungssteller damit einverstanden ist. Diese Regelung mag auf den ersten Blick die nötige Konsequenz bei der Einführung der E-Rechnung vermissen lassen. Führt man sich den administrativen und finanziellen Aufwand dahinter an, wird aber klar, dass sich der Gesetzgeber dabei etwas gedacht hat.
Durch die Einführung der elektronischen Rechnung auf Empfängerseite hat die deutsche Regierung die Nachfrage quasi regulatorisch erzeugt und damit das Henne-Ei-Problem gelöst. Die sanfte Forcierung des Rechnungsempfangs verschafft Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen etwas mehr Zeit, um sich auf die dann wirklich verpflichtende Verarbeitung elektronischer Rechnungen vorzubereiten.
Das gleiche gilt für die Lieferanten, die ihre Rechnungen als Rechnungssteller mit Beginn des Jahres 2027 bzw. bis spätestens Anfang 2028 elektronisch bereitstellen müssen. Zunächst betrifft die Regulierung des Angebots nur Unternehmen, die im Vorjahr mehr als 800.000 Euro Umsatz erwirtschaftet haben – eine Ausnahmeregelung, die ab dem 1. Januar 2028 aufgehoben wird. Spätestens dann gilt die vollumfängliche E-Rechnungs-Pflicht in Deutschland, die auch vor dem Gesundheitswesen keinen Halt macht.
Krankenhäuser und Lieferanten im Gesundheitswesen sind gut beraten, diese Übergangszeit sinnvoll zu nutzen. Und zwar nicht im stillen Kämmerlein, wie es im Volksmund so schön heißt, sondern in einer engen Zusammenarbeit. Die Komplexität des Gesundheitsökosystems, in der Krankenhäuser mit einer Vielzahl von Lieferanten zusammenarbeiten, die wiederum Hunderte Gesundheitsorganisationen beliefern, macht deutlich, dass individuelle Austausch-Formate keine Lösung sein können. Was das Gesundheitswesen braucht, ist ein gemeinsamer Standard für den Versand und die Verarbeitung elektronischer Rechnungen – und genau das ist die große Herausforderung.
Übersicht über die spezifischen Anforderungen bzgl. der Inhalte elektronischer Rechnungen im Gesundheitswesen |
Informationen zum Krankenhaus:
Patientenspezifische Informationen
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Die Abwicklung von Rechnungen im Gesundheitswesen ist nämlich nicht nur mit Blick auf die verschiedenen Arten der Rechnung, auf die ich gleich näher eingehen werde, komplex, sondern auch wegen des Rechnungsinhalts (siehe Tabelle oben). Die Felder, die mit Daten gefüllt werden wollen, unterscheiden sich insofern von anderen Branchen, als dass sie die spezifischen Anforderungen bzgl. der Inhalte elektronischer Rechnungen widerspiegeln – von logistischen Informationen des Krankenhauses über die Einhaltung von regulatorischen Vorschriften bis hin zur Dokumentation von Patientendaten, die für die Abrechnung mit den Krankenkassen wichtig ist.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Arten von Rechnungen, die das Gesundheitswesen für die Bereitstellung und den Empfang von Rechnungen so komplex machen. Je nach Rechnungstyp unterscheidet sich die Fakturierung (Rechnungsstellung) und damit auch logischerweise der Empfang und die Verbuchung der Rechnung auf Seiten des Krankenhauses, die traditionell vor der Herausforderung stehen, maximale Versorgungssicherheit bei minimalen Liquiditätsrisiko sicherzustellen – ein Balanceakt, der in Zeiten von Lieferengpässen und finanzieller Schieflage einem Ritt auf der Rasierklinge gleicht.
Lassen Sie uns einen Blick auf drei Beispiele werfen, die im Gesundheitswesen praktische Anwendung finden:
Kein Hexenwerk, aber steigen wir der Form halber mit der aus anderen Branchen bekannten Standardrechnung ein, die schnell erklärt ist. Nachdem eine Bestellung vom Krankenhaus aufgegeben ist, verschickt der Lieferanten die Ware mit samt einer Rechnung, die alle essenziellen Informationen über die gelieferten Artikel, den Kunden und den Lieferanten enthält.
Im Krankenhaus werden vor allem medizinische Produkte auf „normalem“ Weg geordert und bezahlt, die standardisiert und verhältnismäßig günstig sind. Latex-Handschuhe oder Einweg-Kittel, die täglich in Gebrauch sind und immer auf Lager sein sollten, sind ein gutes Beispiel für Artikel, die immer einen Bezug zur Bestellung haben und nach Lieferung per Standardrechnung bezahlt werden.
Weitaus komplexer ist das sogenannte Bill-Only-Verfahren, das vor allem bei chirurgischen Instrumenten oder Implantaten zum Einsatz kommt. Das Besondere dabei ist, dass die bereitgestellten Artikel so individuell sind, dass sie niemals den Weg ins Lager finden, sondern direkt im OP gebraucht werden.
Bill Only – Fallbeispiel |
Ein Knieimplantat kann niemals standardisiert sein. Kleine Variationen in Anatomie und Knochenstruktur eines Patienten entscheiden darüber, welches orthopädische Gerät den größten Nutzen hat. Das chirurgische Team kann mitunter erst bei der Operation entscheiden, welche Artikelgröße oder bestimmte Komponente die beste Wahl im Sinne des Heilungsverlaufs bzw. des Patientenergebnisses ist. Um sicherzustellen, dass der Chirurg das beste medizinische Produkt wählen kann, wird kurz vor dem Eingriff eine Auswahl an Implantaten und Komponenten geliefert. Die behandelnden Ärzte können auf diese Weise unmittelbar vor oder oft auch während der OP die spezifischen Gegenstände wählen, die für einen bestimmten Patienten benötigt werden. |
Die traditionellen Bestell- und Bestandsverwaltungsprozesse sowie damit verbundenen Abläufe für den Waren- und Rechnungsempfang und die Bezahlung der Rechnung werden in diesem Fall umgangen, schließlich gibt es keinen Bezug zu einer Bestellung, die wie eigentlich üblich aus der Materialwirtschaft des Krankenhauses ausgelöst wurde.
Stattdessen bezieht sich Bill Only auf die unmittelbare Nutzung und finanzielle Transaktion im Zusammenhang mit dem medizinischen Produkt – Informationen, die logischerweise auf der Rechnung zu finden sein müssen. Weil es vor allem hochpreisige medizinische Produkte betrifft, hat das Bill-Only-Verfahren einen positiven Einfluss auf die Liquidität eines Krankenhauses, das die Ware erst dann bezahlt, wenn sie bereits gebraucht und womöglich schon der Krankenkasse in Rechnung gestellt wurde.
Der zweite Sonderfall, der in anderen Branchen kaum, im Gesundheitswesen aber täglich vorkommt, ist das Bill-and-Replenish-Verfahren. Dabei handelt es sich um eine Methode, die sicherstellt, dass sich Gesundheitseinrichtungen auf die Patientenversorgung konzentrieren können, ohne Versorgungsengpässe befürchten zu müssen. Schlüssel zum Erfolg ist eine proaktive Bestandsaufstockung des Lieferanten, der die Ware unmittelbar nach dem Gebrauch wiederauffüllt.
Bill and Replenish – Fallbeispiel |
Besonders Arzneimittel, die von Krankenhaus-Apotheken herausgegeben werden, sind prädestiniert für Bill-and-Replenish-Verfahren. Wenn einem Patienten injizierbare Medikamente verabreicht werden, findet eine entsprechende Protokollierung statt, die bei Nutzung von digitalen Technologien in Echtzeit an den Lieferanten geht. Der Lieferant stellt nicht nur die verbrauchten Dosen in Rechnung, sondern stellt auch umgehend Ersatz bereit. |
Die Bill-and-Replenish-Methode stellt damit die ununterbrochene Verfügbarkeit wichtiger medizinischer Produkte, vor allem Arzneimittel, und Verbrauchsgüter sicher. Sie schafft damit ein Gleichgewicht zwischen sofortiger Finanztransaktion und proaktiver Bestandsverwaltung, für die Krankenhäuser im Falle von nicht-automatisierten Prozessen nicht nur ungemein viel Zeit aufwenden müssen, sondern im Worst-Case-Szenario auch die Patientenversorgung riskieren.
In Anbetracht der komplexen Anforderungen an Rechnungen im Gesundheitswesen und der bevorstehenden regulatorischen Änderungen sollte die Branche die Umstellung auf die E-Rechnung als Chance sehen. Wenn die bestehenden Prozesse für die branchenspezifischen Szenarien auf neue elektronische Formate angepasst werden, lassen sich unnötig aufwändige manuelle Prozesse automatisieren, sodass Komplexes im Ergebnis einfach(er) gemacht wird.
Wir müssen uns von Papier und PDF verabschieden, das ist unvermeidlich, aber das bedeutet nicht, dass die Rechnung weniger umfangreich oder weniger informativ sein wird. Verstehen Sie die Veränderungen, die mit der elektronischen Rechnung einhergehen, als Chance, um buchhalterische Sonderfälle wie Bill Only und Bill and Replenish künftig effizienter abzuwickeln.
Es steht außer Frage, dass der Weg dorthin steinig ist – genau aus diesem Grund hat sich der deutsche Gesetzgeber für eine sanfte regulatorische Einführung der elektronischen Rechnung entschieden und den Akteuren eine Übergangsfrist gewährt. Nutzen Sie diese Zeit, um nicht nur Ihre papierbasierten Prozesse, sondern auch alle teilautomatisierten Abläufe mit OCR-Technologie (Optical Character Recognition = optische Zeichenerkennung) für das Scannen von Papierrechnungen abzulösen und mittelfristig von den weitreichenden Vorteilen der E-Rechnung zu profitieren.
Der erste Schritt besteht darin, den richtigen Partner zu finden, der die Herausforderungen des Gesundheitswesens versteht und die erforderlichen konformen Formate über konforme Kanäle sicherstellen kann. Dadurch gewinnen Sie im Rechnungsprozess das, was in der Branche in vielen Bereichen fehlt: Struktur, Transparenz und konforme Prozesse, die allen Akteuren im Gesundheitswesen das Leben einfacher machen und damit auch einen positiven Einfluss auf die Patientenversorgung haben werden.
Joanna Chelimala, Senior Product Manager e-Invoicing bei GHX Europe, ist eine ausgewiesene Expertin für das Thema Interoperabilität und die rechtskonforme E-Rechnung. Mit ihrem umfassenden Wissensschatz und ihrem fundierten Verständnis der Anforderungen im Gesundheitswesen verfolgt sie das Ziel, erstklassige Produkte und funktionale Erweiterungen zu entwickeln, die den Akteuren im Gesundheitswesen helfen, ihre Ziele zu erreichen.